Frauen in der Kirche

Prophetinnen, Jüngerinnen, Apostelinnen.

Frauen haben in großer Anzahl und auf unterschiedlichste Weise in der Frühzeit des Christentums mitgewirkt. Doch die positive Rolle, die sie zu Anfang spielen, ist von kurzer Dauer. Patriarchale Strukturen setzen sich durch.

Das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci. Das Bild ist eines der berühmtesten Gemälde der Welt. Es zeigt Jesus, der mit seinen Aposteln zu Tisch sitzt. Die Apostel – das sind: Bartholomäus, Jakobus und Andreas. Petrus, Judas und Johannes, Thomas, Jakobus und Philippus, Matthäus, Thaddäus und Simon. Eine reine Männergesellschaft. Der Zwölferkreis, jene Anhänger, die Jesus am nächsten standen – das waren Männer. Dieses Bild hat sich über Jahrhunderte in den Köpfen der Christenheit verfestigt.

Aus dem Katechismus der katholischen Kirche über die Priesterweihe: „Jesus, der Herr, hat Männer gewählt, um das Kollegium der zwölf Apostel zu bilden, und die Apostel taten das gleiche, als sie Mitarbeiter wählten, die ihnen in ihrer Aufgabe nachfolgen sollten. Das Bischofskollegium, mit dem die Priester im Priestertum vereint sind, vergegenwärtigt das Kollegium der Zwölf bis zur Wiederkehr Christi. Die Kirche weiß sich durch diese Wahl, die der Herr selbst getroffen hat, gebunden. Darum ist es nicht möglich, Frauen zu weihen.“

Doch gab es wirklich nur Männer, die als Apostel gewirkt haben? 
Das griechische Wort „Apostoloi“ legt dies nahe. Apostel, Mehrzahl: Apostoloi ist männlich. Genauso Mathetai – Jünger. Männlich.

Sabine Bieberstein, Professorin für Neues Testament an der katholischen Universität Eichstätt, erklärt dieses Phänomen mit der Androzentrik der altgriechischen Sprache. Gruppen, die aus Männern und Frauen bestehen, werden im Plural mit einem männlich konstruierten Wort bezeichnet – wie es auch im Deutschen üblich war und teilweise immer noch ist. Für Sabine Bieberstein ist dies ein Grund dafür, dass die Anfänge des Christentums männerdominiert erscheinen.
„Und dann ist es insgesamt auch eine androzentrische Wirklichkeitswahrnehmung, das heißt, die Perspektive geht Richtung Männer und deren Aktivitäten. 

Und Frauen kommen in dieser Wirklichkeitswahrnehmung erst mal nicht als allererste vor. Und von daher sind es auch nicht umfangmäßig sehr viele Texte, die wir haben. Aber diese Gesamtsituation macht es eben aus, dass Frauen nicht als Allererstes wahrgenommen werden.“

Seit den 1970er-Jahren arbeiten Feministinnen daran, die Frauen, die in der frühen Kirche auftraten, wieder sichtbar zu machen. Nicht nur bekannte Figuren wie Maria Magdalena, die zusammen mit anderen Frauen nach dem Zeugnis des Neuen Testaments unter dem Kreuz Jesu gestanden hat. Und auch nicht nur die Frauen, die am Ostermorgen als Erstes am Grab Jesu auftauchen. Tatsächlich gab es eine Vielzahl von Frauen, die auf unterschiedlichste Art und Weise in der frühen Kirche mitgewirkt haben: Dieser Ansicht sind inzwischen nicht allein feministische Exegetinnen.

„Dass Frauen ganz bemerkenswerte Funktionen eingenommen haben in diesen frühen Gemeinden, das ist nicht wegzudiskutieren. Da werden ganz interessante Titel verwendet, wie die Phoebe, die als Diakonos und Prostatis der Gemeinde von Kenchräa bezeichnet wird. Es gibt die Junia, die als Apostolos bezeichnet wird – also, dass es diese Frauen gegeben hat, dass sie verkündigend tätig waren, dass sie auch leitende Funktionen hatten, das ist einigermaßen Konsens in der Forschung. Wie das dann ganz genau auszuwerten, zu bewerten ist und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, da gehen dann die Meinungen auseinander.“

Bernhard Heininger, Professor für die Exegese des neuen Testaments an der Universität Würzburg, ergänzt diese Einschätzung noch: „Generell möchte ich mal hinzufügen, dass ein Viertel aller Mitarbeiter des Paulus, die im Neuen Testament genannt werden, Frauen sind. Die sich in vielfältiger Weise in die Missionsarbeit einbringen.“
Und auch Angela Wäffler, Autorin und Pfarrerin in der Schweiz, nennt Paulus als wichtigsten Zeugen für die Rolle von Frauen in der frühen Kirche. „Vielleicht kann man auch ausdrücklich sagen, dass er gerade am Anfang vom ersten Korintherbrief schreibt: Er hätte von den Leuten der Chloe gehört, welche Zustände in Korinth herrschen – dann heißt das: Diese Chloe spielt eine ganz wichtige Rolle, auch eine öffentliche Rolle, in der Gemeinde. 

Lydias Hausgemeinde
Eine der unbekannteren aber keineswegs unbedeutenden Frauen in der frühen Kirche ist die Purpurhändlerin Lydia. Über sie heißt es im 16. Kapitel der Apostelgeschichte: „Eine Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; sie war eine Gottesfürchtige, und der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte. Als sie und alle, die zu ihrem Haus gehörten, getauft waren, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, dass ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie drängte uns.“

Sabine Biberstein, Neutestamentlerin in Eichstätt: „Schon der Name deutet darauf hin, dass sie nicht von Philippi ist, was ja eine Stadt in Griechenland ist, sondern aus Kleinasien kommt, aus Lydien, Herkunftsbezeichnungen werden in der Antike häufig für Sklavinnen und Sklaven verwendet, das heißt, das könnte darauf hindeuten, dass sie eine Phase in ihrem Leben Sklavin war, jetzt allerdings wohl freigelassen ist, denn später wird ihr Haus erwähnt.“

Dass Lydia als Purpurhändlerin tätig gewesen sein soll, zeichnet sie als eigenständige Geschäftsfrau aus. Sie scheint sich religiös bewusst zu orientieren und wird daher als Gottesfürchtige bezeichnet.
„Das sind Menschen, die das Judentum attraktiv fanden, wegen seiner hohen moralischen, ethischen Standards, wegen des Monotheismus, dann aus verschiedenen Gründen, aber nicht den letzten Schritt des Übertritts zum Judentum getan haben. Und für die war – das lässt sich gerade in der Apostelgeschichte, aber auch in den Briefen des Paulus zeigen – diese Botschaft vom Messias Jesus höchst attraktiv, denn sie war im jüdischen Kontext verankert, führte aber nicht in einer Weise in das bekannte Judentum hinein, dass jetzt eben Speisegesetze und anderes beachtet werden musste.“

Als Paulus in Philippi auf Lydia trifft, ist sie die alleinige Hausherrin. Sie drängt Paulus und dessen Begleiter Silas, bei ihr zu wohnen.
„Das deutet darauf hin, dass ihr Haus dann auch schnell zum Kristallisationspunkt einer Hausgemeinde wurde. Die Gemeinden haben sich in den Häusern versammelt. Und nicht nur Lydia, sondern auch andere Frauen erscheinen als Menschen, die den Gemeinden ihre Häuser zur Verfügung gestellt haben. Und darin liegt auch eine natürliche Führungsrolle von diesen Menschen – Führungsrolle in der Gemeinde als Gastgeberinnen und Gastgeber, die dann die entsprechenden Gemeinden auch geleitet haben könnten, den Gottesdiensten auch vorgestanden haben könnten.“

Die Exegeten sind überzeugt: Dass Lydia als Erstbekehrte in Philippi und als selbstbewusst auftretende Gastgeberin eine führende Rolle in der Gemeinde eingenommen hat, ist sehr wahrscheinlich. Warum aber wird von diesen Tätigkeiten nicht berichtet, fragt die Neutestamentlerin Eva Ebel von der Universität Zürich. Die Apostelgeschichte entstand in den 90er-Jahren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Wollte der Evangelist Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, die Frauen auf ihre Rolle als Gastgeberinnen beschränken? Neutestamentler Bernhard Heininger hält es für wahrscheinlich, dass in dieser Zeit solche Intentionen maßgeblich waren.
„Ich glaube, dass schon bei der Entstehung der Texte eine Tendenz spürbar war, und zwar, je länger der Traditionsprozess dauerte, Frauen an den Rand zu drängen. Wir stellen es vor allen Dingen fest in den späten Schriften des Neuen Testaments, also beispielsweise im ersten Timotheusbrief, einem Schreiben um die Jahrhundertwende.“
Phoebe als Paulus „Schwester“

Luzia Sutter Rehmann, Professorin für neues Testament an der Universität Basel: „Es gibt konservative Ausleger und feministische Auslegungen, das ist sicher immer ganz unterschiedlich gewichtet, aber dass Phoebe eben Vorsteherin und Diakonos genannt wird, gibt eigentlich der These wirklich Fundament, dass diese Frau nicht mit Helferin hier übersetzt werden kann und genannt werden kann. Also das ist schon mehrheitlich, dass die Phoebe aufgewertet werden muss, von der Bibelwissenschaft her.“

Bernhard Heininger, Neutestamentler in Würzburg: „Ich denke, Phoebe ist ein herausragendes Beispiel dafür, dass Frauen im frühen Christentum – ich spreche hier von den 50er-Jahren des ersten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung, dass Frauen im frühen Christentum eine wirklich bedeutende, wenn nicht herausragende Rolle eingenommen haben.“

Gerade die ältesten erhaltenen Dokumente des neuen Testaments, die Briefe des Apostels Paulus, enthalten eine Reihe von Versen, die Aufschluss geben über die Rolle von Frauen in den frühen Gemeinden. Phoebe von Kenchräa wird im Römerbrief genannt. 

Sie gilt als Kollegin und Patronin des Paulus. 

Kenchräa – eine südöstliche Hafenvorstadt von Korinth. Hier verfasst Paulus den Brief an die Gemeinde in Rom. Phoebe dürfte die Überbringerin des Briefes gewesen sein. Paulus schreibt ihr eine Empfehlung, mit der er sie den römischen Christen vorstellt.
„Man kann davon ausgehen, dass Phoebe einfach die zentrale Frau der Hausgemeinde von Kenchräa war, die möglicherweise ihr Haus zur Verfügung gestellt hat, die die Herrenmahlsfeier, das Abendmahl gesponsert hat. Dass Phoebe für all das zuständig war, da sie auch als Anwältin oder Patronin gearbeitet hat dieser Gemeinde – all das lässt sich aufgrund von Römer 16 sagen.“

Wenn die Baseler Neutestamentlerin Luzia Sutter Rehmann die Aufgaben der Phoebe umreißt, verwendet sie die griechischen Vokabeln. Aus gutem Grund.
„Sie ist eine Prostatis, eine Vorsteherin, sie ist auch Diakonos genannt, und da beginnt das nun: Ist das eine Dienerin, ist das eine Gemeindehelferin, wie wird das übersetzt?“
Darüber streiten Exegeten bis heute. Die Einheitsübersetzung des Neuen Testaments spricht schlicht von einer „Dienerin der Gemeinde von Kenchräa“.
„Die Auslegung oder die Wirkungsgeschichte dieses Begriffs ist so gelaufen, dass, wenn ein Mann wie Paulus sich diakonos nennt, ist er ein Diener des Wortes, also ein Apostel, ein aufrechter, freier Mann, der einfach dem Wort dient. Wenn aber eine Frau so genannt wird, ist sie eine Gemeindehelferin im Sinne von: Sie hilft nur.“
Phoebe gehört ganz offensichtlich zum großen Kreis derer, die zusammen mit Paulus an der Verbreitung der Christusbotschaft arbeiten. Paulus bezeichnet sie als Schwester, was seine persönliche Wertschätzung und auch die Beziehung zwischen beiden charakterisiert. Als Überbringerin des Paulinischen Briefes war Phoebe erste Ansprechpartnerin bei Rückfragen der römischen Gemeinde. Sie war mit den Gedankengängen des Paulus vertraut und kann so auch als erste Interpretin des Textes gelten.
„Nur Frauen können Frauen missioniert haben“

Bernhard Heininger: „Analog zu Phoebe gibt es noch einige Beispiele, die ähnlich gelagert sind – man denke an Aquila und Priska, die sehr sehr rührig und sehr sehr mobil waren, die hatten eine Hausgemeinde in Korinth und dasselbe in Rom, und die Paulus also mit Respekt erwähnt.“
Aquila und Priska. Paulus bestellt ihnen am Ende des Römerbriefes seine Grüße. Auch die Apostelgeschichte berichtet von dem Paar.
Priska und Aquila leben in Rom und kommen nach Korinth, als die römischen Behörden im Jahr 49 nach Christus die jüdische Bevölkerung aus der Stadt vertreiben. In Korinth arbeiten die beiden als Zeltmacher. Dort lernen sie Paulus kennen, der ebenfalls seinen Lebensunterhalt als Zeltmacher verdient. Um das Jahr 54 sind Priska und Aquila wieder nach Rom zurückgekehrt und leiten dort eine Hausgemeinde.
„Die Textbasis ist sehr schmal, aber es ist gut zu begründen, dass in der Jesustradition und in der direkten Nachfolge Jesu oder in der judenchristlichen Mission vor allem judenchristliche Paare missioniert haben. Das ist angesichts des antiken Umfeldes verständlich: Der Zutritt in die Frauengemächer ist normalerweise Männern untersagt, von daher können nur Frauen Frauen missioniert haben.“

Ein solches Paar sind auch Andronikus und Junia. Über sie heißt es im letzten Kapitel des Römerbriefes: „Grüßt Andronikus und Junia, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren, sie sind angesehene Apostel, die sich schon vor mir zu Christus bekannt haben.“

Die frühesten Interpreten des Neuen Testaments, die Kirchenväter, sprechen von Junia mit Hochachtung. Johannes Chrysostomos, der von 344 bis 407 nach Christus lebte, schreibt über Junia: 

„Ein Apostel zu sein ist etwas Großes. Aber berühmt unter den Aposteln – bedenke, welch großes Lob das ist. 


Wie groß muss die Weisheit dieser Frau gewesen sein, dass sie für den Titel Apostel würdig befunden wurde.“
In der Lutherbibel und in der Einheitsübersetzung steht statt Junia allerdings bis heute ein anderer Name: Junias – ein Mann. Zum ersten Mal taucht Junias nachweislich im 13. Jahrhundert auf – bei Ägidius von Rom, einem Augustiner-Eremiten und Schüler des Kirchenlehrers Thomas von Aquin.

In der Forschung hat sich mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, dass Junia, die weibliche Version, die original paulinische sein muss. Bernhard Heininger: „Die historisch-kritische Methode hat früh schon gesehen, also früh meine ich: Mitte des letzten Jahrhunderts – dass es den Männernamen Junias fast nicht gibt in der Antike, also nicht belegt, während der Frauenname Junia häufig belegt ist, können Sie sich ja leicht denken: – Junia/Juni. Was die Junia zum Junias gemacht hat, lässt sich vermutlich nur erklären auf der Basis eines verfehlten Amtsverständnisses 4:00 Andronikus und Junia werden in Römer 16,7 als herausragend unter den Aposteln bezeichnet, und das ist eine Schwierigkeit gewesen oder ist eine Schwierigkeit, Junia zu den Aposteln zu zählen.“

„Es ist für Paulus ganz selbstverständlich: Frauen treten öffentlich auf, sind im Gottesdienst öffentlich beteiligt, übernehmen Diakoninnen-Aufgaben, gelten als Prophetinnen, Beschützerinnen, Helferinnen, Apostelinnen – das steht alles bei Paulus überhaupt nicht infrage“, sagt die Autorin und Pfarrerin Angela Wäffler.
Paulus ein Frauenfeind?

Lange Zeit herrschte ein völlig anderes Bild von Paulus vor. Paulus galt als Frauenfeind. Das liegt vor allem an einem Satz, der in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth steht: „Wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist, sollen die Frauen in der Versammlung schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden. Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es fordert.“

Heininger: „Meines Erachtens ist das Schweigegebot im ersten Korintherbrief eine nachpaulinische Glosse oder Interpolation, also stammt nicht von Paulus, Paulus sagt im 11. Kapitel des ersten Korintherbriefs ja, dass die Frauen mit bedecktem Kopf, oder einer Langhaarfrisur, wie auch immer man das übersetzen soll, beten und prophezeien sollen. Im Gottesdienst öffentlich reden sollen, im ersten Korintherbrief 11. Das widerspricht sich fundamental mit der Aussage 1 Kor. 14, die Frau schweige in der Gemeinde.“

Sutter Rehmann: „Dieser Satz hat eine sehr schlechte Wirkungsgeschichte entfaltet. Die eine sagen: Diesen Satz sollte man in Klammern setzen. In der Bibel. Denn vielleicht – ziemlich sicher, stammt er gar nicht aus der Feder des Paulus, wurde er eingefügt. Später. Aber das würde dann die Wirkungsgeschichte eigentlich wie ausklammern. Und trotzdem hat das ja gewirkt, man sucht diesen Satz, man muss ja mit dem auch kämpfen können oder ihn in die richtige Position bringen.“

Wäffler: „Wir müssen uns, wenn wir die Bibel lesen, immer entscheiden: Was sind unsere Referenztexte. Und dieser Satz ist für die Stellung der Frau in der Kirche über Jahrhunderte als Referenzsatz angesehen worden. Von da aus hat man alles, was man über Frau in der Bibel lesen kann, gedeutet und ausgelegt.“

Als Referenztext empfiehlt Angela Wäffler dagegen einen anderen Text: Aus dem Brief des Paulus an die Galater: „Ihr alle seid durch den Glauben Söhne und Töchter Gottes in Christus Jesus, es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“

Neutestamentlerin Sabine Bieberstein: „Das ist ein Text, der wahrscheinlich anlässlich von Taufen gesprochen oder gesungen wurde. Also einerseits ein programmatischer Text; so soll es bei uns sein, wenn wir uns taufen lassen, dann verändert sich die Wirklichkeit, dann sind gesellschaftliche Statuszuschreibungen nicht mehr relevant, sondern etwas anderes gilt: Alle sind Söhne, Töchter, es ist aber auch ein Reflex einer bereits praktizierten Wirklichkeit.“

„Hier hat man versucht, auf funktionaler Ebene die Geschlechterdifferenz zu überwinden. Also das heißt: Frauen können die gleichen Ämter aufnehmen oder die gleichen Funktionen, wie das die Männer tun, sie dürfen – wie bei Paulus noch – prophetisch reden, im Gottesdienst, öffentlich vortragen, damit ist in der Frühphase des Christentums zu rechnen, und diese emanzipatorischen Bewegungen versanden“, sagt Bernhard Heininger, Neutestamentler in Würzburg.

In der Geschichtsforschung galt es lange Zeit als sicher, dass Frauen in der Antike vom politischen und sozialen Leben weitgehend ausgeschlossen waren. Doch diese These ist überholt. Inschriften belegen, dass es zur Zeit Jesu durchaus Geschäftsfrauen, weibliche Synagogenvorstände und städtische Amtsträgerinnen gegeben hat. Aber, so Luzia Sutter Rehmann:

„Die Frauen auch im römischen oder griechischen Herrschaftskonzept, also auch die herrschenden Frauen, hatten eigentlich eine eher passive Rolle. Also passiv heißt empfangend – und ein Stück weit auch wieder mehr ihren Männern unterordnend. Und das ging natürlich gesellschaftsmäßig stufenweise hinab, es gab Sklavinnen, die waren die untersten, aber auch die Kaiserin musste ja ihrem Mann noch die Füße waschen. Auch wenn es nur symbolisch war.“
Frauen „an den Rand gedrückt“

Das dienende Geschlecht war für die Bewegung im Gefolge des Wanderpredigers Jesus von Nazareth wie prädestiniert.
„Die Jesusbewegung hat fest mit dem Verb dienen gearbeitet, kann man sagen, also der Dienst an den Mitmenschen oder einander gegenseitig eben tragen, stützen, versorgen, dienen ist schon eine der Grundlage in der Jesusbewegung.“

Die positive Rolle, die Frauen zu Lebzeiten Jesu und in der frühen Kirche spielten, setzt sich jedoch nicht fort. Im Laufe des ersten und zu Beginn des zweiten Jahrhunderts passt sich das Christentum an die restaurativen Bewegungen an, die auch im Römischen Reich zu beobachten sind. Die Texte, die nun entstehen, die Strukturen, die sich herausbilden, werden zunehmend patriarchal.

„Dieser Prozess ist Mitte des zweiten Jahrhunderts vermutlich abgeschlossen, und dann werden die Frauen, die weiterhin auf Einfluss pochen, die werden an den Rand gedrückt.“

Dass es sich dabei um einen einheitlichen, linearen Prozess gehandelt haben soll, bezweifelt die Theologin Luzia Sutter Rehmann: „Die Paulusbriefe sind ja die ältesten Texte vom Neuen Testament, da sind Frauen zwar gemaßregelt, aber trotzdem sehr präsent, sehr wichtig, und in den Evangelien, später also, wird dann die Maria Magdalena wichtig genannt, als Auferstehungszeugin. Die nannte Paulus noch nicht. Das heißt, da kommt eigentlich ein neues, frauenstärkendes Element dazu, und dann wieder verschwinden andere Elemente: Also beim Lukasevangelium verkündigen Frauen nicht. Also es geht so ein bisschen wie hin und her.“

Heute sind die Frauengestalten der Bibel wesentlich bekannter als zu früheren Zeiten. Neue Bibelübersetzungen haben eine entscheidende Rolle gespielt, hinter den Jüngern, griechisch Mathetai, auch die Jüngerinnen sichtbar zu machen. Und hinter den Aposteln, den Apostoloi, die Apostelinnen. Auch in der Liturgie wurden Texte angepasst. Projekte wie die „Bibel in gerechter Sprache“ versuchen, bei der Übersetzung die Lebenswelt von Frauen stärker zu berücksichtigen. Vielfältige Forschungsarbeiten geben darüber Aufschluss. Luzia Sutter Rehmann:

„Ich denk, da ist eigentlich sehr viel gegangen, seit den Siebzigerjahren, seit der feministisch theologischen Forschung, seit der sozialgeschichtlichen gründlichen Beforschung dieser Zeit, dass wir viel mehr wissen, was Frauen konnten, durften, taten. Wir können die Textanalyse schärfen, wir haben mehr Instrumente, nach Frauen zu forschen und dürfen sagen, dass Frauen und Männer in der frühen Zeit des Christentums, auch der jüdischen Zeit, beinahe auf Augenhöhe miteinander kommunizierten, und da so auch ein Bewusstsein bestand, sich gegen die herrschende patriarchale Norm zur Wehr zu setzen.“